Berlin investiert in Luftreinigungsgeräte für Schulen. 4,5 Millionen Euro stehen bereit für Technik, die Aerosole aus der Luft filtern soll. Der Bedarf ist jedoch viel größer. Eine Rechnung.

Der Berliner Senat will rund 1200 mobile Luftreinigungsgeräte anschaffen „für Schulen, deren Klassenzimmer aufgrund der baulichen Situation erschwert belüftet werden können“, wie es in einer Mitteilung heißt. Diese Geräte könnten in Räumen ohne ausreichende Lüftungsmöglichkeiten „die Infektionsgefahr durch Aerosole für Beschäftigte, Schülerinnen und Schüler und damit eine weitere Ausbreitung von Covid-19 stark verringern.“

Wer kann profitieren?

An drei Schulen haben nach Angaben der Verwaltung mehrwöchige Tests mit Luftreinigungsgeräten stattgefunden. Die Resonanz an den Schulen selbst sei positiv gewesen. Auch die Berliner Charité habe sich mit den Geräten befasst und Empfehlungen gegeben.

Die Klassenfrequenz über alle Klassenarten, inklusive Willkommensklassen und sonderpädagogische Kleinklassen, an den öffentlichen Schulen lag laut Berliner Bildungsstatistik im Schuljahr 2019/20 bei 22,2. Bei insgesamt 325.525 Schülern ergeben sich rechnerisch 14.663 Klassen bzw. Lerngruppen an den allgemeinbildenden Schulen. Jede Klasse braucht einen eigenen Raum.

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Dazu kommen 55 öffentliche berufliche Schulen mit 87326 Schülern in 3338 Klassen. Davon ausgehend, dass nur etwa ein Drittel aller Klassen an den Berufsschulen in Vollzeit anwesend ist und die anderen zwei Drittel nur etwa die Hälfte (weil sie auch in ihren Betrieben ausgebildet werden), ergibt sich ein Raumbedarf von 1669 Klassenzimmern.

Dazu kommen Teilungs- Hort- und Fachräume sowie Personalräume. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass pro Schule 10 Unterrichts- und Freizeiträume (inklusive Bibliothek, Küchen, Therapieräume etc.) sowie 5 Personalräume (inklusive Sekretariat, Schulleitung und Beratungsräume) dazukommen. Für die 635 allgemeinbildenden Schulen und die 55 beruflichen Schulen macht das insgesamt 10.350 Räume.

Die Summe für die Klassenräume und die anderen hoch frequentierten Räume an den öffentlichen Berliner Schulen beträgt demnach insgesamt, Pi mal Daumen und konservativ geschätzt, 26.682 Räume. 1200 Luftfilter verteilen sich auf 4,45% der Klassenzimmer und weiterer Räume mit erheblicher Auslastung. Nur knapp jeder 20. dieser Räume kann also mit einer technischen Unterstützung zur Luftreinhaltung bestückt werden. Je nach Modell und Raumgröße können auch mehrere Luftreinigungsgeräte nötig sein. Der Anteil derjenigen, die von der Investition profitieren können, sinkt dann noch mehr.

Priorität haben Räume, in denen eine Lüftung durch einfaches Öffnen der Fenster nicht möglich ist. Weil diese entweder kaputt sind oder sich nicht komplett öffnen lassen. Manchmal werden auch Räume genutzt, die für den Unterricht gar nicht vorgesehen waren, aber aktuell aus Platzgründen in Gebrauch genommen wurden. Hier ist in der Regel schon bei der Planung die Belichtung und ausreichende Belüftung gar nicht vorgesehen gewesen.

Risikogruppen nicht im Fokus

In diesem ersten Schritt geht es also um bauliche Gegebenheiten - nicht um Kinder und Erwachsene aus Risikogruppen, die besonders geschützt werden müssen. Wieviele das sind, ist der Senatsverwaltung nicht bekannt, wie aus einer Anfrage der Grünen-Abgeordneten Burkert-Eulitz hervorgeht. Insgesamt nehmen 450 Schüler auf Antrag am „schulisch angeleiteten Lernen zuhause“ teil. Auffällig ist der Ost-West-Unterschied. In den östlichen Bezirken lernen weniger Kinder zuhause als im Westen: In Lichtenberg sind es 8, in Neukölln 67.
Außerdem nehmen 194 Schüler aus Risikogruppen am Unterricht in Kleingruppen teil.

Rund 30 % der Berliner Lehrer sind älter als 55 Jahre, etwa 10.000 potentielle Risiko-Patienten. Viele fürchten sich vor einem schweren Verlauf im Falle einer Corona-Infektion. Sie schützen sich derzeit mit Hygiene, Alltagsmasken und vor allem Lüften. Damit Letzteres auch ordnungsgemäß vonstatten geht, hat der Senat 3.500 CO2-Messgeräte zugesagt, damit die Lehrer und Schüler „das optimale Lüftungsmanagement trainieren können“.

Und die Jüngsten? Die Bildungsverwaltung hat im September bei den Kita-Trägern erfragt, wie viele Kinder aufgrund eigener Risikofaktoren oder Risikofaktoren innerhalb der Familie nicht betreut werden können. Das Ergebnis: 0,3 Prozent, rund 500 Kinder, sind betroffen.
Wäre hier eine Unterstützung durch Luftfilter angebracht, damit diesen Kindern ihr Recht auf Bildung garantiert werden kann? Noch ist das nicht vorgesehen. Die Kitas mit ihren rund 2.600 Einrichtungen, 39.000 Mitarbeitern und 160000 Kita-Kindern werden in diesem ersten Schritt nicht berücksichtigt.

Der Bedarf an technischen Geräten zur Luftreinigung ist also viel höher als die 1200 Geräte, die derzeit vorgesehen sind.

Wann können die Geräte aufgestellt werden?

Dazu kann die Verwaltung derzeit keine Angaben machen. Es fänden noch "finale Gespräche" statt, so ein Sprecher. Wichtig sei, "dass das Geld da ist".
Unbeantwortet blieb unsere Frage nach dem Stand des Verfahrens, das in mehreren Stufen abläuft: Mittelbereitstellung - Ausschreibung - Vergabe - Lieferung. Da der Senat die Gelder erst freigegeben hat, steht alles auf Anfang. Es könnte also sein, dass die Luftreiniger erst im nächsten Jahr in den Klassenzimmern zum Einsatz kommen.
Unsicherheiten könnten sein: Zum einen eine zu geringe Zahl von Anbietern. Der Markt ist überschaubar und mehrere Bundesländer haben sich für den Einsatz von Luftreinigern an Schulen entschieden. Produktionsengpässe oder starke Preissteigerungen sind bei einer hohen Nachfrage nicht ungewöhnlich. Das würde den Prozess zusätzlich verlangsamen.

Ganz viele Masken

Nachtrag: Gerade hat die Verwaltung die Bereitstellung von "bis zu 480.000 Mund-Nasen-Schutzmasken" und 8.500 Liter Desinfektionsmitteln angekündigt. Wir überschlagen - macht pro Person in den Schulen: eine Maske.
Auch andere stellen interessante mathematische Berechnungen an, zum Beispiel hier auf twitter:

 

 

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit (Karl Valentin)

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